Kaum haben Ila und Cael die Eingangshalle erreicht, öffnen sich auch schon die Aufzugstüren. Heraus stürzt: Cella, die Ila sofort um den Hals fällt. Ihr folgt ein sichtlich erschöpfter Macho, der seinem Alpha Cael einen hilfesuchenden Blick zuwirft. Dieser nickt nur verstehend. Auch wenn er Cella nicht gut kennt, weiß er, wie hartnäckig sie sein kann, wenn sie etwas wirklich will. Und dass sie Ila unbedingt hat sehen wollen, ist offensichtlich. Nun löst sich Cella wieder von Ila und betrachtet sie eingehend. «Bist du okay? Hat er dir etwas getan?» Beim letzten Satz wirft Cella Cael einen vernichtenden Blick zu. «Ich habe sehr viel mit dir getan. Aber etwas würde ich das nicht nennen», flüstert Cael in Ilas Geist. Diese muss ihr Gesicht von Cella abwenden, da sie merkt, wie sie rot wird. «Cael! Das kannst du nicht machen!», lässt sie ihn wissen. Seine Anspielung hat gereicht und sie begehrt ihn bereits wieder. Er lacht nur leise. «Sag schon? Hat er?», forscht Cella weiter. «Wenn er dir weh tut, werde ich einen Weg finden, es ihm heimzuzahlen!», droht sie in Caels Richtung. Dieser kann nicht anders, als zu grinsen. Die kleine Cella reicht ihm knapp bis zur Brust. Außerdem ist Cella zwar Heilerin und ganz gewiss auch eine hervorragende Magierin. Mit ihm kann sie es allerdings niemals aufnehmen. Und das weiß sie. Ila löst sich von ihrer Freundin. «Cella, ich bin in Ordnung. Schau mich doch an. Mir fehlt nichts. Außer meiner Freiheit. Es gibt keinen Grund, das eigene Leben zu riskieren, okay?», versucht Ila sie zu besänftigen. Doch diese ist nicht zu bremsen. «Cael, du bist ein Arsch! So etwas hättest du niemals tun dürfen. Eine Hexe auf diese Weise an dich zu binden. Hast du gar keinen Anstand?», wettert Cella. Sie baut sich mit ihren gesamten knapp 1.60m vor ihrem Alpha auf. «Cella. Ich werde mich ganz bestimmt nicht vor dir rechtfertigen. Ila gehört jetzt mir. Ich werde nichts tun, was ihr weh tun könnte. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Und wenn du dich nicht gleich einkriegst, werde ich dich rauswerfen. Also, reiß dich zusammen, dann kannst du dich mit Ila unterhalten, während ich mit Macho die Einsatzpläne der Wächter im Turm bespreche.» Cella hat bereits den Mund geöffnet, um eine weitere Tirade auf Cael abzuschießen, doch als sie realisiert, was er gesagt hat, klappt sie ihn wieder zu. Hat Cael jetzt wirklich gesagt, dass sie mit Ila allein sprechen kann? Cael zieht Ila an sich, drückt ihr einen kurzen harten Kuss auf den Mund und verschwindet dann mit Macho in seinem Büro oben auf der Galerie. Ila dirigiert die immer noch perplexe Cella zum Tisch und sucht ihrerseits in der Küche nach Gläsern. «Sag mal Ila, was läuft da zwischen dir und Cael?», will Cella nun wissen. Einen kurzen Augenblick denkt Ila darüber nach, sich dumm zu stellen. Das hätte bei Cella allerdings wenig Sinn. Für solche Manöver ist sie einfach zu klug. «Das ist etwas kompliziert», sagt sie stattdessen. Cella lacht nur. «Dass mein Alpha kompliziert ist, weiß ich. Aber er ist auch verdammt heiß. Und das zwischen euch ist mehr als ein Knistern. Zwischen euch brennt die Luft.» Ila verdreht die Augen. «Warum fragst du, wenn du sowieso schon alles weißt?» Cellas Auffassungsgabe ist wirklich einmalig und das nicht nur, weil sie ebenfalls empathisch ist. Cellas Augen weiten sich. «Echt? Zwischen euch läuft was?» Ila nickt unmerklich. «Und was soll dann der Scheiß mit der Kapitulation?», fragt Cella weiter. Ila stellt zwei Gläser auf den Tisch. Nachdem sie sämtliche Schränke in der Küche geöffnet hat, ist sie tatsächlich noch fündig geworden. «Jetzt hör doch mal auf rumzuwuseln! Setz dich und erzähl!», fordert Cella. Um ihre Aufforderung noch zu unterstreichen, lässt Cella einen Krug mit Wasser erscheinen. Richtig, sie ist ja eine Hexe, fällt auch Ila ein. Nur zögernd setzt sich Ila ihrer Freundin gegenüber. «Was soll ich ihr erzählen?», fragt sie unsicher nach. Ila zweifelt keine Minute daran, dass Cael dem Gespräch zuhört. Ein Lächeln streift sie in ihren Gedanken. «Auch wenn du es mir nicht zutraust, ich habe mich so weit wie möglich aus deinem Geist zurückgezogen. Weil ich dir ein wenig Privatsphäre ermöglichen möchte. Ich habe also keine Ahnung, worüber ihr gerade sprecht. Aber wenn du mich fragst: ich bin für die Wahrheit.» Jetzt ist Ila sprachlos. «Ila, alles gut bei dir?», erkundigt sich Cella, der Ilas Irritation keineswegs entgangen ist. Diese schüttelt nur kurz den Kopf. «Jetzt hast du mich wirklich überrascht», lässt sie Cael noch wissen, ehe sie sich wieder auf Cella konzentriert. «Cael ist der Meinung, dass es die einzige Möglichkeit war, mit mir zusammen zu sein, ohne einen Krieg anzuzetteln.» Nachdenklich legt Cella den Kopf schräg. «Aber du bist doch Heilerin und somit auch neutral.» «Das hätte meinen Bruder nicht interessiert. Nicht, wenn es um Cael geht», erklärt Ila. Das leuchtet Cella ein. «Du musst extrem wichtig für Cael sein, dass er das gemacht hat. Ich meine, nur um Dorn zu ärgern, hätte er niemals ein solches Risiko auf sich genommen. Und gegen Dorn anzutreten, ist ein ultimatives Risiko.» Ila nickt nur. Das ist ihr klar. Trotzdem wünscht sie sich, es hätte einen anderen Weg gegeben. Einen, bei dem sie nicht so viel hätte aufgeben müssen. Cella bemerkt die Traurigkeit, die Ila überkommt. Sofort geht sie um den Tisch herum und nimmt sie in die Arme. «Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss. Ohne deine Leute, hier unter lauter Feinden. Aber du bedeutest Cael wirklich etwas. Das habe ich vorhin deutlich gespürt. Ich werde versuchen, dich oft zu besuchen, damit du dich nicht einsam fühlst. Wenn Cael es erlaubt. Und sonst nerve ich einfach den Wächter unten in der Lobby so lange, bis er mich zu dir hochlässt. Hat heute auch funktioniert.» Bei Cellas letzten Worten muss Ila lachen. «Du hast den armen Macho ganz schön in Bedrängnis gebracht.» Cella zuckt nur mit den Schultern. «Ist bei ihm auch sehr einfach. Zwei Mal mit den Wimpern klimpern, ein bisschen Popo wackeln, ein paar komplizierte Sätze und er weiß nicht mehr, ob er jetzt schauen oder denken soll. Beides gleichzeitig kann er nicht.» «Cella!», ruft Ila entsetzt aus. «Was? Wenn’s wahr ist!», grinst Cella nur. In der Galerie öffnet sich die Tür von Caels Arbeitszimmer und die beiden Männer kommen die Treppe hinunter. Kaum ist Cael bei ihr, zieht er Ila auch schon an sich. «Länger kann ich nicht», entschuldigt er sich, während er die geistige Verbindung mit ihr wieder festigt. Ila lächelt zu ihm hoch. Cella erhebt sich und umarmt sie nochmals. Ihrem Alpha nickt sie wohlwollend zu. Dann verschwindet sie mit Macho im Aufzug. Ila winkt Cella nochmals, bevor die Türen sich ganz schließen. «Setz dich, es gibt gleich etwas zu essen. Ich habe vorhin unten im Restaurant Bescheid gegeben, dass sie es hochbringen sollen», erklärt Cael. So macht Cael das also. Er kocht nicht selbst, das hätte Ila tatsächlich sehr erstaunt. Seine Magie nutzt er aber offensichtlich auch nicht dafür. Cael lässt es sich servieren. Alpha eben. Ila denkt an ihren Bruder, der entweder essen geht oder es sich ebenfalls bringen lässt. So unterschiedlich sind sie gar nicht. «Wir sind wie Tag und Nacht», grummelt Cael, der ihren Gedanken auffängt. Langsam schüttelt Ila den Kopf. «Auch wenn weder du noch er das gerne hört. Es gibt Dinge, da unterscheidet ihr euch nicht einen Millimeter voneinander. Mit eurem Kontrollwahn seid ihr euch beispielsweise absolut ebenbürtig. Lediglich die Art und Weise ist anders.» Wieder knurrt Cael unwillig, widerspricht ihr jedoch nicht. In dem Moment deckt sich gerade der Tisch. Kerzen, Teller, Gabel, Messer und zwei Gläser Rotwein erscheinen. Cael muss sich nicht von irgendwelchen Bediensteten in seinen privaten Räumen stören lassen. «Es sind tatsächlich selten Leute hier. Außer den diensttuenden Wächtern oder meinem Stellvertreter kommt eigentlich kaum jemand her.»
Cael bedeutet Ila, sich hinzusetzen. Das kann Ila verstehen, auch sie hat selten Besuch. Weil ihr Zuhause auch immer ihr Rückzugsort gewesen ist. Der Ort, an dem sie zur Ruhe gekommen ist und sie sich von den fremden Einflüssen lösen konnte. Ihr Herz wird schwer, als sie sich wieder daran erinnert, dass es dieses Zuhause für sie nicht mehr gibt. Und so sicher und geborgen sie sich im Moment gerade fühlt, es ist trotzdem ein Verlust. «Es tut mir leid, dass ich dir das alles genommen habe. Ich konnte nicht anders.» Obwohl sie allein sind, benutzt er die telepathische Verbindung zwischen ihnen. Was dieses Geständnis noch intimer macht. Ila blickt ihn an und antwortet ebenfalls über ihren Geist: «Ich weiß. Das macht es nicht einfacher.» Die Teller füllen sich mit einem wunderschön hergerichteten Salat. Beide beginnen zu essen. «Wir sollten versuchen, nach vorne zu schauen. Ich bin mir bewusst, ich bin kein einfacher Mann und ich verlange sehr viel von dir. Und das Einzige, was ich dir bieten kann, ist, dir meine Welt zu Füssen zu legen.» Ila blickt diesen Magier an, von dem sie weiß, dass er ihr Schicksal ist. Seine Gefühle zu ihr sind echt. Daran hat Ila keinen Zweifel. Doch wird das reichen? Wird sie damit leben können, dass er sie nahezu immer in seinem Geist spüren muss? Kann sie damit umgehen, dass er ihre Nähe so sehr braucht, dass er bereit ist, dafür zu töten? Längst hat Cael aufgehört zu essen und sieht sie mit durchdringendem Blick an. «Ich kann es nicht ändern.» Seine Stimme klingt müde, fast ein wenig resigniert. Es schmerzt ihn tatsächlich, dass er ihr gegenüber so unnachgiebig sein muss. Ila atmet tief durch. Sie kann dem hier nicht entfliehen. Das könnte Cael niemals zulassen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich darauf einzulassen. Mit allem, was sie ist, und mit allem, was sie hat. Obwohl die Angst davor sie fast umbringt, ist Ila bereit, genau das zu tun. Cael springt auf, hastet um den Tisch herum und kniet vor ihrem Stuhl nieder. Sein Blick ist voller Zärtlichkeit und Verehrung. «Ilarja Delay, ich verneige mich vor deiner Güte und deinem Mut», flüstert er. Ila ist gerade etwas überfordert ob all der Ehrfurcht, die er ihr entgegenbringt. «Bitte Cael, steh auf. Du bringst mich ganz durcheinander», stammelt sie. Er lächelt nur, richtet sich auf und verschließt ihre Lippen mit einem langen liebevollen Kuss. «Und jetzt musst du essen. Du hast großen Hunger», beendet Cael den Augenblick. Während Ila auf den großen Teller Spaghetti blickt, der soeben vor ihr aufgetaucht ist, murmelt sie: «Wie kommt es, dass du immer besser weißt als ich, was ich brauche?» «Weil ich auf deine Bedürfnisse achte», erwidert er und drückt ihr die Gabel in die Hand. Da Ila tatsächlich hungrig ist, beginnt sie zu essen. Und auch Cael wendet sich seinem Teller zu. «Morgen werden wir uns mit Wolfblood treffen. Ich möchte, dass ihr euch kennen lernt», eröffnet Cael ihr wenig später. Ila fühlt, wie Nervosität in ihr aufsteigt. Es ist für sie immer schwierig, auf fremde Menschen zu stoßen. «Die Jungs sind alle ein bisschen verrückt, wie es Musiker halt so sind. Aber sie sind auch alle sehr feinfühlig, weshalb ich denke, dass du sie gut aushalten wirst. Außerdem möchte ich euch gerne zusammen hören.» Der Gedanke daran macht Ila noch unruhiger. Bisher hat sie nur im sterilen Studio, ganz allein gesungen. Sie hat keine Ahnung, ob das gut gehen wird. «Ich bin sicher, dass du das kannst.» Cael glaubt an sie und ihre Fähigkeiten. Das beruhigt Ila irgendwie.
Trotzdem ist Ila furchtbar nervös, als sie sich einen Tag später in Caels Armen in ein Wohnquartier in der Stadtmitte manifestiert. Als Erstes kann Ila Wasser riechen. Ein Fluss verläuft direkt neben ihnen. Dies entlockt ihr ein Lächeln. Sie mag Wasser, weil es auf sie eine beruhigende Wirkung hat. Indessen lässt Cael sie nur ungern los. Wenn es nach ihm ginge, würde er Ila einfach nur stundenlang im Arm halten. Er liebt es, sie so nah bei sich zu spüren. Nur ihre Enge um sich zu haben, übertrifft dieses Gefühl noch. Ila, die seine Gedanken ebenfalls mitbekommt, boxt ihn. «Bring mich nicht schon wieder dazu, dich zu wollen. Wir haben doch gerade!», schimpft sie und löst sich von ihm. Sofort schlingt Cael seinen Arm um sie und zieht sie wieder an sich. «Ich will dich immer», raunt er ihr ins Ohr. Dann drückt er seinen harten Schwanz an ihren Unterleib. Sofort wird Ila heiß und sie keucht erregt auf. «Und du mich auch», stellt Cael wieder einmal zufrieden fest. Ila widerspricht ihm nicht. Es ist offensichtlich, dass er Recht hat. «Cael, bitte!», flüstert sie nur. Sie weiß jedoch selbst nicht, ob sie ihn damit bittet, weiter zu machen oder aufzuhören. Bilder tauchen in ihrem Geist auf, wie er sie an dieser Hausmauer nimmt. Wie er sie weiter und weiter treibt und sie sich ihm ein weiteres Mal hemmungslos hingibt. Cael lächelt nur zufrieden, küsst sie dann sanft. «Wir heben uns das für später auf», meint er und zieht sie dann die Kellertreppe des Hauses herunter.
Erst als sie die Tür zum Keller öffnen, hören sie die Musik. Die Band probt bereits. Ila und Cael stellen sich in eine Ecke des Kellers und hören zu. Die Musik ist dunkel, keltisch. Eine Bratsche spielt eine tragende melancholische Melodie. Die feinen Hände des Spielers fallen Ila als Erstes auf. Und gerade als die Melodie ihren Höhepunkt erreicht, kurz absetzt, um dann weiterzuklingen, setzen Schlagzeug und Gitarre ein. Der Rhythmus ist hart, und der Beat der Gitarre noch mehr. Im ersten Augenblick glaubt Ila, die Wucht des Ganzen nicht aushalten zu können. Es ist der Bass, der Ila den nötigen Halt gibt, um weiter dabei zu bleiben. Fasziniert betrachtet Ila den Mann, der dem Instrument diese beruhigenden Klänge entlockt. Von Cael weiß sie, dass er Lasar heißt und der Bandleader ist. Seine langen aschblonden Haare, die so hell sind, dass manche glauben, sie seien nicht blond, sondern weiß, bedecken die feinen Züge seines Gesichts. Es sind sein Körperbau und seine Größe, die Lasar als Mann ausweisen. Die Energie, die er ausstrahlt, könnte durchaus auch weiblich sein. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, als die Melodie sich verändert. Ila erkennt sie. Es ist der Song, den sie für Cael im Studio gesungen hat. Lasar hebt den Kopf. Erst jetzt scheint er die beiden Besucher wirklich wahrzunehmen. Mit einem kurzen Nicken begrüßt er Cael. Dann bleibt sein Blick an Ila hängen. Einen kurzen Augenblick hört Lasar auf zu spielen und winkt sie zu sich heran. Er selbst macht einen Schritt vom Mikrofonständer weg. Ila versteht sofort. Und wie von selbst, nimmt sie den von ihm angebotenen Platz ein. Die Musik klingt wunderschön, hat aber zu viel männliche Energie. Und das trotz Lasars Können, seine Männlichkeit nahezu ganz loszulassen. Ila beginnt zu singen und sofort kommt alles ins Gleichgewicht. Wie von selbst fügt Ila sich in die Band ein. Zwischen ihr und Lasar besteht irgendeine Verbindung. Nicht so, wie zwischen ihr und Cael. Es scheint eher, als ob sie beide einfach dieselbe Sprache sprechen würden. Lasars Bass ist das letzte Instrument, das verklingt. Keiner stellt mehr Fragen. Auch Ila nicht. Sie weiß einfach, ab heute ist sie Teil von Wolfblood.
Im Wolfsturm ist es so still wie noch nie. Es ist Kampfnacht, wer nicht in der Cumbatsidat ist, verfolgt die Kämpfe auf dem Bildschirm in den Räumen des Clans . Nur Ila ist weder am einen noch am anderen Ort. Cael hat nicht gewollt, dass sie mit in die Arena kommt. Dagegen hat sich Ila nicht gewehrt. Die Cumbatsidat vermisst sie keineswegs. Ila genießt die Stille im Wolfsturm und in dieser atemberaubenden Wohnung. Schon seit mehreren Stunden ist sie in das vertieft, was sie am meisten liebt und sie immer mehr mit Cael verbindet. Die Musik. Seit sie bei Cael ist, beschäftigt sie sich täglich mit Musik und ihrem Gesang. Wolfblood ist ein großer Teil davon. Für sie singt Ila mehr als nur Background. Ein Umstand, der sie zuerst ziemlich erschreckt hat. Niemals hätte sie sich selbst zugetraut, diese anspruchsvollen Songs einzustudieren. Einmal mehr ist es Cael gewesen, der sie dazu gebracht hat, an sich selbst zu glauben. Aber auch die Magier von Wolfblood selbst haben viel dazu beigetragen. Es macht ihr Freude, mit diesen Wesen zusammen zu arbeiten. Dass Musik auch Magie ist, hat Ila schon immer gewusst. Wie groß die Macht dieser Magie sein kann, lernt sie erst jetzt. Vor allem Lasar scheint darüber sehr viel zu wissen. Sein Können gibt er sehr gerne an Ila weiter. So ernst die Jungs von Wolfblood ihre Musik auch nehmen, während den Proben und den Aufnahmen gibt es immer viel zu lachen. Ihr Humor und ihre Unbeschwertheit nehmen Ila immer wieder den Druck weg. Das ist wichtig, denn so gelingt es Ila immer besser, das, was sie sein kann, einfach zuzulassen. Cael ist der Meinung, dass ihre Stimme dann auch bei Aufnahmen ihre Magie entfalten kann. Ila ist angekommen in ihrem neuen Leben, das sie zwar nicht gesucht, jetzt jedoch gefunden hat. In ihre eigene musikalische Welt versunken, sitzt lla am Flügel und spielt sich die Melodie des nächsten Songs vor, den sie in den kommenden Tagen aufnehmen wollen. Es handelt sich um einen alten Heilgesang. Der Heilgesang für eine geschundene Seele.
Gefahr! Dieses Gefühl trifft Ila wie ein Schlag in die Magengegend. Alarmiert springt sie auf. Ist jemand in der Wohnung? Nein, das kann gar nicht sein. Caels Schutzkreise kann niemand durchdringen, ohne dass er es merkt. Und Cael wäre längst hier, wenn dies geschehen wäre. Ila atmet tief durch. Fühlt die kalten Steinplatten unter ihren Füßen, wandert in Achtsamkeit durch ihren Körper. Für einige Sekunden verschließt sie ihren Geist, zieht sich ganz in sich zurück. Achtet nur noch auf ihren ruhigen tiefen Atem. Das hat Cael sie in den letzten Tagen gelehrt. Jeden Morgen lässt er sie genau diese Übung machen. Ein kleiner Funke Freude kommt in ihr auf, als sie realisiert, dass es tatsächlich funktioniert. Langsam und behutsam mit sich selbst öffnet Ila ihren Geist wieder. Es durchfährt sie wie ein Blitz. Die Gefahr betrifft nicht sie selbst. Eigentlich könnte Ila dieses Gefühl jetzt einfach loslassen. Sie ist ja nicht in Gefahr. Die Heilerin in Ila wird jedoch mit einem Mal hellwach. Sie wird gebraucht. Wer auch immer ihre Hilfe benötigt, sie wird da sein. So tut Ila das naheliegende und überprüft systematisch alle ihre Lieben. Ist in den Katakomben etwas passiert? Behutsam sucht sie den Kontakt zu ihrer Freundin Fay. Wie sie gehofft hat, ist die Verbindung zu den Heilern der Katakomben nicht von ihrer Kapitulation betroffen. In den Katakomben herrscht zwar viel Betrieb, aber alles scheint in Ordnung zu sein. Fays Geist ist hochkonzentriert und außer ihrer Traurigkeit, die Ila schon seit einiger Zeit wahrnimmt, gibt es nichts Alarmierendes. Nein, hier ist nichts, worüber sie sich Sorgen machen muss. Ihre Wahrnehmung lässt sie trotzdem nicht los. Irgendetwas ist, dessen ist sich Ila gewiss. Ihr Körper und ihr Geist sind in absoluter Alarmbereitschaft. Schlimme Dinge geschehen. Heute. Jetzt. «Cael.» Mittlerweile ist es für Ila etwas ganz Natürliches mit Cael zu kommunizieren. Sofort spürt er Ilas Furcht. «Es ist alles gut, Krähenmädchen», beruhigt er sie. Cael ist in seiner Kriegerenergie. Da er sich aber in der Cumbatsidat befindet, ist dies auch nicht weiter erstaunlich. Ein leises Stechen in ihrem Herzen kündigt Ila an, dass sich ihr etwas zeigen will. Ila tut das Einzige, das ihr jetzt noch möglich erscheint, sie öffnet ihren Geist ganz.
Da spürt Ila sie in ihrem Geist. Wie die Verbindung zustande gekommen ist, weiß sie nicht. Aber sie ist da. Sie ist jung. Eine Junghexe an der Schwelle zur Hexe. Sie ist auf dem Weg nach Hause und sich keiner Gefahr bewusst. Obwohl sie dem Revier der Dark Crow sehr nahe ist. Hier ist sie schon so oft entlang gegangen und nie ist etwas passiert. Ilas Versuch, sie zu warnen, kommt zu spät. Denn obwohl Ila die Verbindung zu der Hexe hat, scheint sich jene dieser nicht bewusst zu sein. Um die junge Hexe wird es schwarz, sie kann nichts mehr sehen. Sie versucht, sich irgendwie zu orientieren, tastet umher. Da schlingen sich Arme um sie und ein harter männlicher Körper drängt sich an sie. Erschrocken beginnt sie zu zappeln, aber gegen ihn ist sie chancenlos. Er lacht, als sie das begreift. Ihr laufen eiskalte Schauer den Rücken herunter. «Du bist noch Jungfrau. Ich werde dein Erster sein. Nie wirst du mich vergessen können», flüstert er in ihr Ohr. Grauen erfasst die junge Hexe. Im Wolfsturm lassen Ilas Beine nach. Schutzsuchend kriecht sie zum Teppich. Es ist Ila absolut bewusst, dass sie nichts für die junge Hexe tun kann. Vielleicht sollte sie die Verbindung sogar kappen, um sich selbst zu schützen. Aber das kann Ila nicht. Sie kann sie nicht im Stich lassen. Die Hexe schreit auf, als er sie zu Boden drückt. «Ja, schrei, schrei, so laut du kannst! Das gefällt mir!» Sie versucht, ihn von sich herunter zu stoßen, beißt und kratzt, was sie kann. Da packen weitere Hände zu. Erst jetzt nimmt sie wahr, dass noch mehr Magier da sind. Und sie alle wollen nur eines. Sie schänden. Wenn er mit ihr fertig ist, wird es noch lange nicht zu Ende sein. Ein entsetzter gequälter Schrei entfährt ihr. Und da fühlt sie ihn, seinen dunklen Geist, der sich in ihr festgesetzt hat. Ila wird kotzübel, als die junge Hexe diesen verdorbenen Geist berührt. Noch nie hat sie so etwas gefühlt. So etwas Bedrohliches, so etwas Dunkles. Mit aller ihrer Kraft versucht Ila, der Hexe zu vermitteln, sich von diesem Geist fernzuhalten. Die Hexe erkennt, dass sich dieser Geist an ihrer Angst und ihrem Schmerz ergötzt. Je größer ihr Grauen wird, desto mehr Macht gibt ihm das. Lauernd beobachtet er sie. Empfindet tiefste Befriedigung und Freude an ihrem Schmerz, der ihn nährt, und ihn von ihrem Geist Besitz ergreifen lässt. Er wartet. Gleich wird es geschehen. Genau in dem Moment, in dem der Magier über ihr brutal in sie eindringt und ihr Innerstes zerreißt, erwacht etwas in der jungen Hexe. Zuerst nimmt sie es nicht richtig wahr, zu groß ist der Schmerz, der gerade ihrem Körper zugefügt wird. Angst steigt in der Hexe auf. Der Magier lässt von ihr ab, sie hört Grölen und Rufen im Hintergrund. Kalte Hände fassen sie an. Innerlich wartet sie darauf ein weiteres Mal den alles zerstörenden brennenden Schmerz zu spüren. Doch es passiert nicht. Sie bemerkt die Unruhe um sich. Ein feines Flirren eines Gefühls, das nicht ihres ist. Auch Ila fühlt einen Anflug von Schuld, der nicht ihr und auch nicht zur Hexe gehört. Noch ehe sie diese jedoch lokalisieren kann, wird die Hexe ins Gesicht geschlagen. Ihre Lippen platzen auf und sie schmeckt Blut in ihrem Mund. Hände krallen sich in ihre Haare und wieder wird ihr Innerstes zerrissen. Der Schmerz ist so groß, dass sie glaubt, das Bewusstsein zu verlieren. Und genau da steigt es in ihr auf: ein Wissen, älter als die Zeit. «Ich werde überleben», wispert sie hinaus ins Universum. Dann hört sie auf, sich zu wehren, wird ganz still und zieht ihren Geist in sich selbst zurück. Der dunkle Geist kann ihr nicht folgen. Fluchend verlässt er sie. Seines Triumphes beraubt. Ihre Pein ist noch nicht zu Ende. Wie oft die Magier sich von ihr nehmen, was sie niemals freiwillig geben würde, kann sie nicht sagen. Ihr Geist bleibt in der Stille und schützt so ihre Seele davor, völlig auszubluten. Ila bleibt weiterhin mit ihr verbunden. Die junge Hexe realisiert, dass etwas bei ihr ist, etwas, das Halt und Licht gibt, sie kann es nicht benennen. Doch sie hält sich daran fest. Ila selbst konzentriert sich einzig und allein auf die junge Hexe. Sie kann sie nicht schützen. Nicht vor der Verdorbenheit und auch nicht vor der Gewalt dieser Magier. Sie kann nur bei ihr bleiben.
©by Patricia Tschannen, 2024
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