Der Sternenball ist das gesellschaftliche Ereignis der Cumbatsidat. Alles, was Rang und Namen hat, ist hier zugegen. Für die Alphas ist dieser Anlass Pflicht. Ebenso für die Erste Heilerin. Und als solche ist es für Fay das erste Mal, dass sie am Sternenball teilnimmt. Tausendmal lieber wäre sie jetzt in den Katakomben oder noch lieber bei sich zu Hause am 12-Kräuter-Trank brauen oder wenn es sein muss, noch etwas Komplizierteres. Wenn sie nur nicht hier sein müsste, an diesem Ort, wo sich die High-Society der Hexenwelt trifft. Sie ist nicht geeignet für diese Art von Zusammentreffen. Doch es hilft nichts, als Erste Heilerin gehört dies zu ihren Pflichten. Mit weichen Knien und schmerzendem Magen sitzt sie nun in dieser Limousine, die sie hergebracht hat. Die Cuverna sieht es nicht gerne, wenn die Gäste sich hierher manifestieren. Schließlich sollen sie sich der versammelten Presse präsentieren. Fay fühlt sich mit solchen Auftritten völlig überfordert. Diese Scheinwelt passt nicht zu ihr. Und dann ist sie auch noch ganz auf sich alleine gestellt. Natürlich hätte sie eine Begleitung mitbringen können. Nur hätte jeder registriert, mit wem die neue Erste Heilerin auf dem roten Teppich aufkreuzt. Die Gerüchteküche hätte gebrodelt und darauf kann Fay wirklich verzichten. Fay bleibt nicht viel Zeit, sich weiter darüber Gedanken zu machen. Ein Bediensteter öffnet die Tür des Autos. Noch einmal atmet Fay tief durch und murmelt sich selbst ermutigend zu: «It’s showtime, baby.» Kurz sucht Fay Halt, als sie mit ihrem Fuss aus dem Auto tritt. Mit einem möglichst strahlenden Lächeln geht Fay über den roten Teppich, den Eingang des Nobelhotels fest im Blick. Innerlich betet sie, dass sie nicht stolpert, die Absätze ihrer silbernen Highheels sind mörderisch hoch. Flache Ballerinas wären wirklich praktischer gewesen. Diese hätten jedoch nicht zu ihrem fließenden türkisgrünen Abendkleid gepasst. Darum muss sie da jetzt durch. Niemand bemerkt Fays Unsicherheit und ihren Unwillen. Alle sehen nur eine atemberaubend schöne Hexe. Auch der Magier, der im Schatten des Eingangs auf sie wartet, ist beeindruckt von ihrer Erscheinung. Im Gegensatz zu allen anderen sieht er aber auch ihr Unbehagen, das sie so meisterhaft verbirgt. Es kommt Fay wie eine kleine Ewigkeit vor, bis sie endlich den rettenden Eingang erreicht. Und gerade als sie sich ein klein wenig entspannt, spricht er sie an. «Guten Abend, Fay.» Erschrocken zuckt sie zusammen und ihr Herz stolpert. Sie hat nicht auf den Magier im Schatten geachtet und auch nicht damit gerechnet, dass er dort stehen würde. «Dorn, bist du verrückt geworden!», zischt sie. Doch er grinst sie nur an. «Warum so überrascht? Dass die Alphas am Sternenball teilnehmen, ist doch kein Geheimnis.» Fay schnaubt nur. «Natürlich weiß ich das. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich damit rechnen muss, dass du mich hier am Eingang überfällst.» «Wenn ich dich überfallen wollte, sähe das ganz anders aus. Vor allem du sähst danach völlig anders aus. Ich dachte mir, vielleicht wäre es dir Recht, wenn du mit mir zusammen in die Höhle des Löwen gehen kannst», meint er. «Schlangengrube trifft es wohl eher», berichtigt Fay. Dorn muss über ihre Bemerkung lachen. Wie recht sie doch hat! Auch er traut der Cuverna und deren Freunden nicht über den Weg. « Also was ist, Fay, gehen wir zusammen da rein?», erkundigt er sich. «Und deine Begleitung?» Fay fragt sich schon, wo er wohl die Tussi abgestellt hat, die mit ihm hergekommen ist. Auf keinen Fall kann sie sich vorstellen, dass Dorn allein gekommen ist. Doch er schüttelt den Kopf. «Ich bringe niemals jemanden mit an den Sternenball. Viele Frauen stellen das einem Heiratsantrag gleich. Ganz abgesehen von der Publicity.» «Und wenn du mit mir hier aufkreuzt, zieht das keine Aufmerksamkeit auf sich?» «Wir sind nicht zusammen hergekommen. Wir haben uns lediglich hier getroffen. Und da ich genau genommen dein Alpha bin, ist es nur anständig, wenn ich dich bei deinem ersten öffentlichen Auftritt als Erste Heilerin unterstütze», berichtigt Dorn. «Aber wir stehen hier vor dem Eingang, jeder kann sehen, dass du auf mich gewartet hast», meint sie. Doch Dorn grinst nur. «Könnten sie. Aber nach dir ist Lorena Gunerson auf dem roten Teppich aufgelaufen. Die Fotografen sind allesamt abgelenkt von ihrem Kleid, das mehr preisgibt, als es verhüllt. Auf uns achtet da keiner mehr.» Die Gunersons sind eine der Familien, die der Cuverna angehören. Das bedeutet, sie haben viel Geld und noch mehr Einfluss in den höheren Kreisen. Lorena selbst ist in diesen, was Mode und Partys betrifft, tonangebend. Das Spiel mit der Presse beherrscht die gelangweilte, verwöhnte Tochter perfekt. Dorn bietet Fay seinen Arm. Misstrauisch legt Fay den Kopf schräg. Sie kennt Dorn, er tut nichts ohne Hintergedanken. Was für einen Nutzen hat er, wenn sie ihn begleitet? Dorn bemerkt ihr Zögern. «Ich habe nicht vor, dich irgendwie zu bedrängen. Auch wenn ich durchaus einige Ideen hätte, was wir hier anstellen könnten. Aber ich denke nicht, dass es hilfreich ist, die Cuverna zu brüskieren. So erhoffe ich mir lediglich etwas Unterhaltung», versichert er ihr. Fay beißt sich auf die Lippen und überlegt noch, ob sie ihm wirklich trauen kann. «Komm schon, kleine Hexe, no risk no fun!», stichelt er. Da ergreift sie den angebotenen Arm und während sie das Nobelhotel betreten, zischt Fay ihm noch zu
«Untersteh dich, mich hier kleine Hexe zu nennen!» Dorn kann nicht widerstehen und raunt ihr leise zu: «Natürlich, kleine Hexe!» Fay bleibt keine Zeit mehr zu reagieren, denn sie stehen bereits vor Carla und Lorenzo Milconi, den heutigen Gastgebern. «Fay Morigon, wie schön, Sie zu sehen», gurrt Carla. Fay lächelt freundlich, obwohl sie diese überkandidelte Hexe nicht ausstehen kann. Aus Fays Sicht gehört Carla zu jenen Menschen, die nur dann nett sind, wenn es ihnen auch etwas hilft. Schwache Menschen ignoriert sie und bei jenen, die fallen, tritt sie genüsslich nach. «Ich freue mich auch, hier zu sein. Ist Ophelia auch da?» Es ist nur ein Bruchteil einer Sekunde, in der Carlas Gesichtszüge entgleisen. Aber es reicht, dass Fay zuerst das erschrockene Zusammenzucken und das darauffolgende angewiderte Verziehen des Gesichts wahrnimmt. Carla hat sich aber schnell wieder im Griff. Mit einem theatralischen Seufzer säuselt sie: «Ach wissen Sie, Fay. Ein solcher Anlass ist nichts für Ophelia. Dazu ist sie einfach zu empfindlich.» «Wie schade, es hätte mich sehr gefreut, sie mal wieder zu sehen. Grüßen Sie sie bitte von mir», sagt Fay und strahlt Carla an. «Das werde ich gerne tun. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen.» Mit diesen Worten rauscht Carla an ihnen vorbei auf die Familie Gunerson zu. Dorn führt Fay weiter in den Saal. «Du kennst Ophelia Milconi?», staunt Dorn. Die jüngste Tochter der Milconi Familie bekommt kaum jemand zu Gesicht. Teilweise geht das Gerücht um, sie sei nicht ganz normal und werde deshalb von ihrer Familie versteckt. «Ich habe sie ganz am Anfang meiner Ausbildung kennengelernt», erwidert Fay. Mehr sagt sie dazu nicht. Sie wird Ophelias Geschichte ganz bestimmt nicht hier, wo alles Ohren zu haben scheint, ausbreiten. Außerdem hat sie auch keine Zeit dazu, denn ein älterer noch athletisch wirkender Mann begrüßt sie bereits sehr herzlich. «Miss Morigon, wie ich höre, haben Sie ihre Feuertaufe sehr gut gemeistert. Die Alphas sprechen mit höchstem Respekt von Ihnen. Für die Krieger ist es von größter Wichtigkeit, dass die Katakomben einwandfrei funktionieren. Meiner Unterstützung können Sie sich dafür stets sicher sein.» «Morgan, du alter Krieger, machst du der Ersten Heilerin gerade schöne Augen?», flachst Dorn. «Und das, obwohl ich schon lange nicht mehr auf die Katakomben angewiesen bin», grinst dieser. «Aber, wie ich sehe, habe ich an dir bereits Konkurrenz», fährt er fort. Dorn macht eine abwehrende Bewegung. «Ich bin nur ihr Alpha», erklärt er und führt Fay dann weiter. Unterwegs zu den Tischen stichelt Fay: «So so, nur mein Alpha. Genau genommen stimmt auch das nicht. Ich bin Heilerin und neutral.» Dorn bleibt vor ihr stehen und betrachtet sie mit loderndem Blick. «Ich habe ihm nicht gesagt, wo ich dein Alpha bin.» Empört schnappt Fay nach Luft. Er kann es einfach nicht lassen und muss schon wieder den Macker heraushängen lassen. «Du bist überhaupt nirgends mein Alpha und da, wo du meinst, schon gar nicht!» Mit diesen Worten stolziert Fay von ihm weg an ihren Tisch. Sie hört noch Dorns Lachen, welches sie ebenso ignoriert, wie sie ihn selbst für den Rest des Abends links liegen lässt. Dennoch spürt sie immer wieder seinen durchdringenden Blick auf sich. Und wenn er gerade nicht schaut, beobachtet Fay den beeindruckenden Mann. Sie staunt, wie leicht sich Dorn in diese Gesellschaft einfügt. So viel Anpassungsvermögen hätte sie ihm gar nicht zugetraut. Doch irgendwann begreift sie, dass Dorn hier ausschließlich den Alpha präsentiert. Vom Krieger und leidenschaftlichen Mann ist hier nichts zu bemerken. Wieder wird Fay klar, wie groß die Gefahr ist, dass sie sich an Dorn verliert. Sie hat aber eigentlich keine Zeit für komplizierte Beziehungen oder Affären. Die Katakomben benötigen ihre volle Aufmerksamkeit. Und genau darauf wird sie sich jetzt wieder konzentrieren. Auch Dorn beobachtet Fay. Allerdings offensichtlicher als sie ihn. Die erste Unsicherheit hat sie schnell überwunden. Mit Leichtigkeit unterhält Fay sich mit ihren Tischnachbarn. Den gleißenden Stich der Eifersucht, weil Fay sich mit anderen Männern unterhält, kann er noch ignorieren. Seinen Ärger, dass sie sich ihm den Rest des Abends gekonnt entzieht, fühlt er jedoch deutlich. Ihm wird bewusst, er ist noch lange nicht fertig mit ihr. Er weiß aber auch, dass Fay sich ihm nicht einfach wieder hingeben wird. Dorn lächelt in sich hinein, es wird ihm ein besonderes Vergnügen sein, Fay Morigon zu fangen.
Es hat mehrere Tage gedauert, bis Ila sich von dieser ersten Kampfnacht erholt hat. Obwohl sie sehr auf sich geachtet hat, ist sie am Ende doch sehr ausgelaugt gewesen. Leere hat sich in ihr ausgebreitet. Ein Gefühl, das Ila überhaupt nicht mag. So viele Gefühle in sich zu haben, dass sie am Schluss überhaupt nichts mehr fühlt, ist für sie das Schlimmste. Ihr ist dann auch nichts anderes übriggeblieben, als sich in ihrem Zuhause zu verkriechen. Den ersten Tag hat sie sogar im Bett im abgedunkelten Zimmer verbracht. Die folgende Zeit hat sich dann ihr Körper bemerkbar gemacht. Ihre Muskeln haben geschmerzt und ihr ist immer wieder schwindlig gewesen. Mit viel trinken, vor allem Wasser, und noch mehr liegen und schlafen, hat sich Ila nun vollständig erholt. Das ist mehr, als letzte Saison überhaupt möglich gewesen ist. Darauf ist Ila stolz. Und doch ist ihr in dieser einen Nacht eines klar geworden: Sie wird die Arbeit in den Katakomben niemals so sehr lieben, wie Fay oder die anderen das tun. Ein Umstand, den sie vor niemandem zugeben wird. Die Gabe des Heilens ist ein Geschenk, welches das Universum ihr gemacht hat. Es nicht zu nutzen, wäre Frevel. Außerdem fühlt sie sich ihrem Clan und auch ihrer Freundin Fay gegenüber verpflichtet, in den Katakomben Dienst zu tun. Sie will sich darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Die nächste Kampfnacht lässt noch auf sich warten. Bis dann wird sie wohl ganz wiederhergestellt sein. Und überhaupt, will sie gar nicht daran denken. Diese Nacht wird sie vor große Probleme stellen, das weiß Ila jetzt schon. Cael wird wahrscheinlich durchdrehen, wenn er erfährt, welchen besonderen Dienst sie ihrem Clan in dieser Nacht erweist. Sie hat Dorn dies nicht verwehren können, als dieser sie darum gebeten hat. Dazu ist sie zu loyal, vor allem ihrem Bruder gegenüber. In ihrer Kindheit und Jugend war er ihr einziger Halt. Das wird Ila niemals vergessen. Und obwohl Fay stinksauer war, als sie diese davon in Kenntnis setzte, wird sie Ila tun lassen, was sie glaubt, tun zu müssen. Auch wenn sie nicht nachvollziehen kann, wie tief die Verbindung zwischen Ila und Dorn ist.
Ila seufzt. Ihr Leben ist einfach zu kompliziert. Ausgerechnet der größte Feind ihres Bruders scheint der ihr bestimmte Mann zu sein. Seit Halloween ist Ila klar, dass es keinen Sinn mehr hat, dies zu bestreiten. Cael ist seitdem eigentlich jede Nacht bei ihr. Es ist auch durchaus möglich, dass er der Grund ist, dass Ila sich so gut von der ersten Kampfnacht erholt hat. Dank ihm, schläft sie nämlich jeweils tief und fest. Sie grinst innerlich. Hätte Ila gewusst, dass Orgasmen diese Wirkung haben, hätte sie sich schon früher auf Sex eingelassen. Ohne die Umstände, die nun mal so sind, wie sie sind, könnte aus dieser wahnwitzigen körperlichen Anziehung vielleicht auch mehr wachsen. So bleiben Ila nur die Nächte und diese unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das sie nicht benennen kann. Etwas, das sie ängstigt und ihr gleichzeitig so stark und mächtig scheint.
Heute ist jedoch nicht der richtige Tag zum Grübeln. Auch Hexen müssen essen und da ihr die Lebensmittel ausgehen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als einzukaufen. Ein Einkaufszentrum wäre für Ila zu viel. Das grelle Licht, die schier unbegrenzte Fülle an Waren und die meist hektischen gestressten Menschen hält Ila auch in ausgeglichenem Zustand nur schwer aus. Deshalb geht sie meist auf den Markt. Da findet sie alles, was sie braucht. Auch heute ist die Stimmung ruhig, wenig Hetze und Eile. Ila rückt ihre Sonnenbrille zurecht. Die Novembersonne ist nicht sehr stark, doch für sie ist die Brille ein Weichzeichner ihrer Umgebung. Aus ihrem Kopfhörer klingt entspannende Klaviermusik. Die harmonische sanfte Musik führt dazu, dass sie sich entspannt.
Als von jetzt auf gleich die Stimmung umschlägt, wird es Ila eiskalt. Aggression, Wut, Hass, der Wille, zu zerstören, das alles dringt in Ilas Geist. Und dann bricht um Ila herum das Chaos aus. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen. Schwarze vermummte Gestalten, die laut schreiend um sich schlagen. Schon erklingen auch die Sirenen. Noch mehr schwarze Gestalten. Ila realisiert erst, dass es Polizisten sind, als sie deren kalte beherrschte Kriegerenergie spürt. Diese versuchen nun, die entfesselte Menge einzukesseln. Aus Wut wird blinde Raserei. Steine fliegen, Marktstände werden umgeschmissen und vollständig zerstört. Parolen werden skandiert, Kommandos gebellt. Ila steht wie festgewachsen mitten auf diesem Platz. Sie kann sich nicht rühren, die Emotionen unzähliger Menschen überfluten ihren Geist. Jeder einzelne Nerv in ihr scheint zu glühen. Vollkommen schutzlos ist sie dem allem ausgesetzt. Es gibt erste Verletzte. Ila fühlt das, sie fühlt deren Schmerz, die Angst, die zur Panik wächst. Ihr Instinkt, zu heilen, erwacht. Doch sie kann nichts tun. Die nächste Aggressionswelle, die sie erfasst, schnürt ihr die Kehle zu. Mühsam schnappt sie nach Luft, versucht ruhig zu atmen. Heißer alles zerstörender Hass lodert um sie auf. Ila verliert den Boden unter den Füßen. Sie muss weg hier. Wenn sie nicht wegkommt, wird sie jetzt sterben. Aber sie will nicht. Ihre Zeit kann unmöglich jetzt schon abgelaufen sein. Sie will Leben! Ihr Herz rast und ihr Körper droht, seinen Dienst aufzugeben. Sie kann nur noch einen telepathischen Hilferuf ins Universum hinaussenden, bevor sie kraftlos zu Boden sinkt.
Noch bevor sie den Asphalt berührt, wird es still um sie herum. Still und weiß. Ila fühlt nichts mehr. Außer einem leichten kühlen Wind. Und dann wird ihr übel. Kotzübel.
Ila fest in seinen Armen haltend, manifestiert sich Cael in seinem Badezimmer. Sofort dreht er Ila zum Klo, wo sie sich auch umgehend übergibt. So lange, bis sie schließlich nur noch würgen kann. In ihr vibriert alles, vor ihren Augen flimmert es. Nach der Leere kommt der Schmerz. Sie fühlt sich, als ob sie gehäutet worden wäre. Der Schmerz ist vernichtend und sie selbst so schwach, dass sie nicht einmal mehr schreien kann.
Cael befreit sie von ihrer Kleidung, die ihr weh tut, hebt sie hoch und stellt sich mit ihr unter die Dusche. Der Reiz der Nässe auf ihrer Haut lässt ihren durchdrehenden Geist kurz innehalten. Als Nächstes nimmt sie die Wärme seines Körpers wahr, dann die unerschütterliche Kraft seines Geistes, welcher ihren hält. Der zerstörende Schmerz zieht sich zurück und ist nur noch ein Brennen. Behutsam stellt Cael sie auf die Füße. Ihre Beine tragen sie zwar wieder, doch sie muss sich an ihn lehnen. Ihre Augen hält sie geschlossen, um wenigstens diesen Reiz auszuschalten.
Voller Sorge betrachtet Cael die Hexe, die mit dem Rücken an ihn lehnt. Noch immer ist sie geradezu überschwemmt von fremden Gefühlen. Er fühlt, wie ihr Geist sich von ihrem gepeinigten Körper lösen will. Wenn das geschieht, ist sie in absoluter Lebensgefahr. Cael weiß, nur ein starker Gegenreiz kann die fremden Gefühle aus ihrem Körper und ihrem Geist schnell genug entfernen. Ihr Schmerzen zuzufügen ist eine Möglichkeit, die für ihn jedoch nicht in Frage kommt. Die andere…
«Bitte vertrau mir!», flüstert er ihr zu. Seine warme Hand gleitet sanft über ihren Körper. Jenen Körper, den er schon so viele Nächte sein Eigen nennt. Doch jetzt geht es nicht um seine Besitzansprüche. Jetzt geht es einzig und allein darum, Ilas Geist wieder mit ihrem Körper zu verbinden.
Ila erschauert, als seine Hand von ihren Brüsten hinunter zu ihrer Scham wandert. Ihr Geist erkennt ihn, vertraut ihm. Behutsam und ganz langsam streichelt er ihre Klitoris. Wärme steigt in ihr auf. Ila begreift: dieses Gefühl, es gehört zu ihr. Ihr Atem wird schneller und sie stöhnt leise auf. Erleichterung erfasst Cael, als er spürt, dass Ila tatsächlich auf ihn reagiert. Er erhöht Druck und Tempo seiner Finger. Hitze erfasst sie. Lust. Was sie fühlt, ist Lust. Genau in dem Moment, in dem sie das erkennt, schlagen auch schon die Wellen des Höhepunkts über ihr zusammen.
Und dann ist alles still. Ihr Geist und ihr Körper sind wieder eins. Der Schmerz löst sich auf. Ila kann wieder richtig atmen. Das Einzige, was zurückbleibt, ist eine unsägliche bleierne Müdigkeit.
Cael trägt die erschöpfte Ila in sein Schlafzimmer. Dort legt er sie auf sein Bett und deckt sie gut zu. Er holt noch mehr Decken. Im Wissen, dass sie das Gewicht auf sich als angenehm empfinden wird. «Schlaf, mein Krähenmädchen», flüstert er ihr ins Ohr. Dankbar lässt sich Ila von der Dunkelheit einhüllen.
Cael blickt auf die schlafende Ila. Sie wirkt so jung und so zerbrechlich in seinem großen Bett unter all diesen Decken. Und in seinem Kopf macht sich ein Gedanke breit: «Jetzt ist sie da, wo sie sein soll.»
©by Patricia Tschannen, 2024
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