Ich habe einen Beruf gewählt, bei dem ich Menschen in Übergängen begleite.
Ich habe einen Beruf gewählt, bei dem kein Tag gleich ist.
Ich habe einen Beruf gewählt, bei dem ich Menschen nahe bin.
Ich habe einen Beruf gewählt, bei dem ich immer Neues lernen kann.
Ich habe einen Beruf gewählt, der Sinn macht.
Und damit habe ich auch gewählt, dass ich unregelmässig arbeite.
Ich habe gewählt, Teil eines 24/7 Betriebes zu sein.
Ich habe gewählt, meine Ferien mit dem Team abzugleichen.
Ich habe gewählt, nachts zu arbeiten.
Alles das habe ich gewählt.
Ich habe nicht gewählt
Ich habe nicht gewählt, in meiner Schicht ein Auftragsvolumen zu haben, das ich gar nicht erfüllen kann.
Ich habe nicht gewählt, keine Zeit zu haben, um das volle Potential meines Berufes nich einmal ansatzweise ausschöpfen zu können.
Ich habe nicht gewählt, mich so oft moralischem Stress aussetzen zu müssen.
Ich habe nicht gewählt, immer und immer wieder an meine physischen und psychischen Grenzen gehen zu müssen, um wenigstens noch die Sicherheit zu gewährleisten.
Ich habe nicht gewählt, an meinen freien Tagen angerufen oder angeschrieben zu werden, ob ich doch arbeiten kommen kann.
Ich habe nicht gewählt, mich vor dem Tag zu fürchten, an dem Menschen sterben, weil die Ressource Pflege nicht mehr reicht.
Das habe ich nicht gewählt.
Auch ihr habt gewählt
Ihr habt gewählt, Pflegenden nicht zuzuhören, ihre Hilferufe allesamt zu ignorieren.
Ihr habt gewählt, das Thema Gesundheitswesen nicht zu beachten, bis zu dem Moment, in dem ihr es selbst benötigt.
Ihr habt gewählt, euch politisch auf Nebenbühnen zu tummeln und das auf der Hauptbühne einfach verkümmern zu lassen.
Ihr habt gewählt, euch erst um die Versorgung und Betreuung von kranken, verletzten und gebrechlichen Menschen zu kümmern, wenn ihr oder eure Liebsten davon betroffen sind.
Damit habt ihr auch gewählt
Damit habt ihr auch gewählt, dass immer mehr Pflegende ihren Beruf verlassen, weil sie auch da die Wahl haben.
Damit habt ihr auch gewählt, dass uns das Gesundheitswesen weiter um die Ohren fliegt und der Tag, an dem es nicht mehr geht und Menschen sterben, immer näher kommt.
Und wenn es so weit ist, habt ihr genau das gewählt.
Im Herbst können wir wählen.
Es könnte der Anfang sein, etwas anderes zu wählen.
Nicht mehr den Profit um jeden Preis, sondern ein Gesundheitswesen, das diesen Namen auch verdient.
Dazu müssen wir jetzt wählen, genau hinzuschauen, wer was zum Thema macht, wer sich für was einsetzt.
Dazu müssen wir jetzt wählen, weiter zu denken, als nur die Schlagzeilen und Parolen, die uns täglich um die Ohren gehauen werden.
Dazu müssen wir jetzt wählen, wo unsere Prioritäten liegen.
Wir alle haben die Wahl. wir alle gemeinsam wählen, was für ein Gesundheitswesen wir haben.
Patricia Tschannen, Pflegefachfrau HF Visionärin Autorin Bloggerin
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Cornelia Gerber (Donnerstag, 10 August 2023 18:41)
Ich bin froh und dankbar dass du uns deine Stimme verleihst! Gut gewählt�❤️
Claudia Kropf (Donnerstag, 10 August 2023 22:47)
Mir ist ein junger Patient unter den Händen weggestorben, da in der Nacht der Notfall/ das Spital überlastet war und der Dienstarzt keine Zeit hatte zu diesem Patienten zu kommen. Man hätte ihn verlegen und operativ versorgen müssen. Erst nach 6 Std. (mit mehrmaligem Telefonieren und klarem Ausdrücken, dass der Gesundheitszustand dieses Patienten sich konstant verschlechtert) ist der Dienstarzt gekommen. Da wollte er ihn auf die IPS verlegen, unterwegs ist er verstorben. In dieser Nacht war ich mit einer Lernenden im ersten Lehrjahr für 30 Patienten auf unserer Abteilung zuständig. Einige der Patienten waren instabil und ich stand unter extremem Druck! Die Lernende hat mich unterstützt, wo sie konnte. Sie wird diese Nacht sicher auch nie mehr vergessen.
Am Morgen musste ich länger bleiben, da die Ärzte und die Leitung Pflege noch eine Fallbesprechung einberufen haben. Sie erinnerten mich an meine Schweigepflicht und verboten mir, den Angehörigen Auskunft zu geben.
Sie vertrösteten sich gegenseitig mit der Aussage, dass der Patient wohl sowieso gestorben wäre, auch wenn man ihn noch verlegt hätte. Ich bin da anderer Meinung. Innerhalb dieser 6 Std. hätte man bei einem sonst gesunden Patienten nach Sturz auf den Kopf noch ganz viel versuchen müssen!
Man hätte ihn schon gar nicht auf eine Bettenstation ohne Monitore verlegen dürfen. Aber das Spital war überlastet... nahm ihn trotzdem auf...
Und ich? Die Lernende? Wir sollen das einfach so schlucken und tun, als wäre nichts gewesen.
Marianne Herbst (Freitag, 11 August 2023 06:36)
Ich sage einfach wieder einmal mehr: DANKE!❤️��
Andreas Schweizer (Freitag, 11 August 2023 07:43)
Schon sehr, sehr stark, Dein Text.
Ich werde wählen.
Werner Maag (Freitag, 11 August 2023 10:19)
Auch ich habe miterlebt wie das Pflegepersonal immer mehr ausgenutzt wurde und immer mehr Administration erledigen muss statt bei den Bewohnern zu verweilen.
Der obige Beitrag ist typisch im heutigen System und solche Fälle werden sich mit der aktuellen Politik häufen!
Hoffentlich nutzen wir alle die Chance im Herbst um die Machtverhältnisse in Bern zu Gunsten von mehr Menschlichkeit anstelle von Profit zu verschieben ❗️
Ich wähle die einzige Partei die schon immer für diese Themen einsteht ❗️�SP�DU hoffentlich ebenfalls �❗️
Sabine (Freitag, 11 August 2023 10:38)
Danke Der vellmol. För Dini Präsenz. Dini ehrlichi ond transparenti Art und Wis.
Witer so!
Cornelia (Freitag, 11 August 2023 11:32)
Danke für diesen differenzierten und wahren, klaren Text!
Patricia Tschannen (Freitag, 11 August 2023 13:08)
Liebe Claudia Kropf,
deine Geschichte trifft mich. Dieses Erleben ist es, das uns verletzt und hilflos zurück lässt. Ich wünsche dir, dass du Hilfe und Unterstützung findest. Dass du diese Geschichte "abladen" kannst. Melde dich z. B. beim SBK, unserem Berufsverband. Sie wollen das wissen, sie wollen diese Geschichten weiter tragen, ohne, dass du deine Schweigepflicht damit verletzt. Alles Gute.
Patricia Tschannen
Sibylle (Freitag, 11 August 2023 15:18)
Vielen Dank für Deine offen Worte
Verce Micevska (Freitag, 11 August 2023 21:54)
Beindruckend.
Alles richtig gesagt, stark und Mutig. Vielen Dank�
Barbara Lorenzetti (Samstag, 12 August 2023 12:28)
Liebe Patricia, danke für Deinen aufrüttelnden Text. Wir alle, aber insbesondere diejenigen, die nicht in einem Pflegebruf tätig sind, sind dringend aufgefordert, sich voll und ganz für menschenwürdige Rahmenbedingen in der Health- und Care-Arbeit einzusetzen - für die Patientinnen und ebenso für die Mitarbeitenden.
Karin (Samstag, 12 August 2023 19:55)
Das hast sehr gut geschrieben. Danke ❤️☘️
B. Seitz (Sonntag, 13 August 2023 09:50)
Bravo! Ein Brandbrief!
Giusy (Dienstag, 15 August 2023 05:47)
genau so isch es …. leider…. es wird immer wieder gseit, aber es wird so zur kenntnis gno und nüt dergäge ungerno, schad!
danke patricia, dass das „uf papier“ bringsch was mir aui scho lang wüsse