Unlängst (genauer gesagt zu Pfingsten), sitze ich im Bus auf dem Weg zu meinem Nachtdienst. Ich bin unruhig. Gedanken kreisen in meinem Kopf. «300 Milionen Defizit. Der finanzielle Kollaps droht.» Mit diesen drastischen Worten haben sich Ende Mai die Direktoren der Universitätsspitäler an die Öffentlichkeit gewandt. Ich bin mir sicher das war kein einfacher Schritt. Die Situation muss sehr schlecht sein, wenn sich CEOs öffentlich so äussern. (Ihr wisst ja, Image und so). Seit ich das gelesen habe, macht mir das Bauchweh. Aber offensichtlich bin ich allein damit. Keine Reaktion in den Medien, keine Reaktion auf Seiten der Politik, keine Reaktion von der Bevölkerung, ausser gut gefüllte Kommentarspalten (die ich besser nicht gelesen hätte) in Tagesanzeiger und 20min, die mir vor allem eines verraten: Der Ernst der Lage wurde nicht begriffen. Ich frage mich, wo dieses Desinteresse herkommt und warum mich das so beschäftigt?
Meine Playlist springt einen Song weiter. «Mir sind da wenns ischlaht.», singt Gimma. Und ich erkenne, genau das ist es. Ich bin da, wenn’s dann einschlägt. Dann wenn diese Spitäler «hops» gehen, bin ich Teil davon. Wenn’s wirklich passiert, dann erlebe ich, wie lebenswichtige Behandlungen rationiert werden müssen. Triage, heisst das Wort dazu. Heisst konkret: Nicht mehr alle Menschen, bekommen die Chance auf Heilung oder Linderung ihrer Krankheiten. Wenn das eintritt, werden diese Menschen, die über «die Klinge springen», für mich ein Gesicht haben, ebenso ihre Angehörigen. Ich werde mitbekommen, wie das für die Ärzt*innen ist, wenn sie Menschen mitteilen müssen, dass sie oder ihre Liebsten nicht behandelt werden können. Ich werde mit meinen Kolleg*innen, die Wut, die Angst, die Trauer direkt miterleben und aushalten müssen. Das macht mir Angst. Und es macht mich wütend, dass so viele glauben, es betreffe sie nicht.
«Üs interessiert nid was für Theorie ihr eu bastlet», textet Gimma weiter
Theorien ist fast schon ein bisschen zu viel gesagt, zu den Äusserungen in den Kommentarspalten. Von «Dann müssen halt die CEOs weniger verdienen» bis zu «es braucht doch keine Universitätsspitäler», ist alles enthalten. Wer mich schon länger liest, weiss, ich hab’s nicht mit Zahlen. Doch ich glaube nicht, dass der Lohn der CEOs das Defizit ausgleichen würde. Jedenfalls nicht langfristig. Ganz abgesehen davon, eine solche «Riesenkiste» wie ein Unispital braucht Führung. Zudem ist das eigentlich Problem, dass die Leistungen, welche die Spitäler erbringen nicht ausreichend abgegolten werden. Namentlich die Pflegeleistungen sind resp. waren nie adäquat abgebildet und somit bezahlt. Zum Thema keine Unispitäler: Ich erinnere an die Pandemie. Die schweren Covid – Fälle wurden an den Unispitälern behandelt. Was wir über die Behandlung von Covid wissen, wurde in diesen Spitälern erforscht. Und das ist nur das «jüngste» Beispiel, warum wir Forschung und hochspezialisierte Spitäler brauchen. Ebenfalls spielen die Universitätsspitäler eine wichtige Rolle in der Ausbildung der Gesundheitsberufe. Angesichts des Fachkräftemangels kann es sich die Schweiz nicht leisten, alle diese Ausbildungsplätze zu verlieren. Dann wurde noch von «privatisieren» gesprochen. Schliesslich würde da dann der «Markt» spielen (ja, ich verdrehe gerade die Augen). Jedes andere Unternehmen, lehnt einen Auftrag, der wahrscheinlich defizitär sein wird, ab. Bei Spitälern ist der «Auftrag» ein Mensch, der unter Umständen stirbt, wenn er nicht behandelt wird. Während Privatspitäler durchaus Patient*innen begründet mit der zu hohen Komplexität des Falles ablehnen können, kann dies ein Universitätsspital nicht.
«will in der Praxis, muess d Arbeit gmacht si.»
Doch wer macht sie? Wenn Banken «to big to fail» sind, dann ist es unser Gesundheitswesen erst recht! Nur habe ich bis jetzt noch nichts mitbekommen von irgendwelchen Sondersessionen. Auch das Medienecho ist sehr gering. Für diese wird es wohl erst interessant, wenn’s dann wirklich «einschlägt».
Der Bus hält. Ich steige aus und gehe in Richtung Garderobe.
«Und es isch nie gnueg, es brucht immer meh»
Auch in diesem Nachtdienst werden mir Ressourcen (vor allem Zeit) fehlen. Und ich werde auch in diesem Dienst alles tun, damit es meinen Patient*innen gut geht.
Bevor ich die Musik ausschalte, frage ich mich: Wann macht die Politik endlich ihre Arbeit, die gemacht werden muss?
Patricia Tschannen, Pflegefachfrau HF
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Kirstin (Mittwoch, 31 Mai 2023 14:07)
Ich verstehe deine Wut. Und deine Angst. Danke, dass du darüber berichtest. Dass du es zum Thema machst. Damit die Information nicht nur aus den Schlagzeilen kommt.
Cath (Mittwoch, 31 Mai 2023 15:42)
Danke für deine Gedanken. Es ist interessant und zugleich beängstigend. Ich unterrichte angehende Pflegekräfte, erzähle ihnen von der Wichtigkeit der Biografie, um Zugang zu dementen Menschen zu finden. Verlange eine korrekte Hautbeobachtung z.B. beim morgendlichen Waschen der Beine und das Wissen einer adäquaten Hautpflege. Ich erzähle von der Wichtigkeit der Prophylaxen, von Lagerungen zu atemstimulierenden Einreibungen zur Bewegung, um Obstipation, Thrombosen usw. vorzubeugen. Und gleichzeitig frage ich mich, ob das zeitgemäss ist. Was wird von ihnen verlangt, wenn sie nach drei Jahren Ausbildung an der Front sind? Gilt diese Theorie noch? Würde der Lehrplan sie besser auf selektive Therapien vorbereiten? Auf den Umgang mit Wut, Angst, Aggression von Patienten und Angehörigen? Ja, was ist denn zeitgemäss?
Patricia Tschannen (Mittwoch, 31 Mai 2023 15:57)
Liebe Cath, sie schneiden ein Thema an, das selbst eines Blogartikels würdig wäre. Hier nur kurz meine Meinung: In den Schulen soll unbedingt die exzellente Pflege gelehrt werden. Dazu gehört auch, der Umgang mit den eigenen und den Emotionen von anderen. An der Basis zu arbeiten, bedeutet Prioritäten zu setzen. Um das zu können, muss ich wissen, was denn überhaupt alles in mein Berufsfeld gehört. Auch wenn das bedeutet, dass wir an der Basis dann selbst priorisieren müssen. Aber
Markus Stadler (Mittwoch, 31 Mai 2023 20:35)
... nicht nur inhaltlich überwältigend, sondern auch in literarischer Hinsicht. Unterwegs zum Nachtdienst. Und dann oszillieren die Gedanken zwischen dem, was gewaltig schief läuft im Moment... und dem, was unsere Politiker eindämmen könnten, aber die Hände in den Schoss legen... inmitten einer Gesellschaft, die im Dornröschenschlaf vor sich hindämmert... narkotisiert von Medien, denen, wie auch den Politikern, ebenfalls alles sch...egal ist... möglicherweise auch dann noch, wenn es längst eingeschlagen hat...
Thesi Nyffenegger (Sonntag, 04 Juni 2023 17:41)
Dieser eindrucksvolle Blogpost berührt mich zutiefst. Die aktuelle Krise der Universitätsspitäler ist alarmierend. Es enttäuscht mich, dass unsere Gesellschaft scheinbar wenig Interesse für dieses drängende Problem zeigt. Die Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen sind inakzeptabel. Die Politik muss jetzt handeln, um den drohenden Bankrott der Universitätsspitäler abzuwenden und vor allem die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Danke für deinen unermüdlichen Einsatz zum Wohl der Patienten. Du verdienst meinen Respekt und Anerkennung!